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Vorgetäuschter Eigenbedarf: Mieter darf neue Miethöhe einsehen (LG Berlin II, Urteil vom 28.02.2024 – 66 S 178/22)

Kündigt der Vermieter seinem Mieter wegen Eigenbedarfs, obwohl der Eigenbedarf gar nicht besteht, sondern nur vorgetäuscht ist, steht dem Mieter, der im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Kündigung ausgezogen ist, ein Schadensersatzanspruch gegen den Vermieter zu, mit dem er z. B. notwendige Umzugskosten und Mehrkosten ersetzt verlangen kann, die ihm durch die Anmietung einer neuen, vergleichbaren Wohnung entstehen. Das Bestehen dieses Schadensersatzanspruches ist seit Langem anerkannt und gefestigte Rechtsprechung. Viele Mieter sind jedoch zurecht verärgert, wenn der Vermieter die Wohnung nach der vorgetäuschten Eigenbedarfskündigung an einen Dritten weitervermietet und von diesem eine höhere Miete erhält als diejenige, die er von ihnen selbst, die der Eigenbedarfskündigung zum Opfer gefallen sind, verlangen konnte. In solchen Fällen ist es nachvollziehbar, dass der getäuschte Mieter den Wunsch verspürt, den Mehrerlös, den der Vermieter durch die Weitervermietung erzielt, für sich beanspruchen und vom Vermieter herausverlangen zu können. Dass ein solches Verlangen im Rahmen eines Schadensersatzanspruches keine Berechtigung findet, steht außer Frage, denn der vom Vermieter erzielte Mehrerlös stellt keinen Schaden dar, der dem Mieter entstanden ist. Das LG Berlin II hat nun aber mit einem bemerkenswerten Urteil auf sich aufmerksam gemacht und – ohne allerdings über den Herausgabeanspruch selbst und dessen Höhe im Einzelnen zu entscheiden – das Bestehen eines Anspruches des Mieters auf Herausgabe des durch die Weitervermietung erzielten Mehrerlöses dem Grunde nach bejaht.

Der Fall

In dem Fall, der der Entscheidung des LG Berlin II vom 28.02.2024 zu Grunde lag, hatten die Vermieter das mit dem Mieter bestehende Mietverhältniseine wegen angeblichen Eigenbedarfs zum Zweck der Überlassung der Räume an ihre Tochter gekündigt. Nachdem der Mieter die Wohnung geräumt hatte, zog die Tochter der Vermieter allerdings nicht in die Wohnung ein. Stattdessen schlossen die Vermieter einen neuen Mietvertrag mit anderen Mietinteressenten und übergaben die Wohnräume an diese neuen Mieter. Noch bevor die Räume bereits an die neuen Mieter übergeben worden waren, verlangte der Mieter zunächst beim AG Berlin – Kreuzberg klageweise die Wiedereinräumung des Besitzes, die allerdings im Laufe des Prozesses durch die Übergabe der Wohnung an die neuen Mieter unmöglich wurde. Obwohl dem Mieter in einem anderen Verfahren der Ersatz seiner Umzugskosten als Schadensersatz zugesprochen worden war, änderte er seine beim AG Berlin – Kreuzberg anhängige Klage auf Wiedereinräumung des Besitzes dahingehend ab, dass er von den Vermietern Auskunft über die Höhe der von den neuen Mietern erzielten Miete verlangte. Das AG Berlin – Kreuzberg wies die Auskunftsklage ab und führte zur Begründung aus, das Begehren des Mieters sei bereits unschlüssig, weil die aktuell von den neuen Mietern geschuldete Miethöhe zur Geltendmachung eines etwaigen Schadens (Umzugskosten, Mietdifferenzschaden) gänzlich irrelevant sei, also nicht benötigt werde. Insbesondere aus § 242 BGB ergebe sich kein Auskunftsanspruch des Mieters.

Die Entscheidung

Mit seiner beim LG Berlin II gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegten Berufung hatte der Mieter Erfolg. Das LG Berlin II verurteilte die Vermieter, dem Mieter Auskunft über die Höhe der mit den Nachmietern vereinbarten Miete zu erteilen. Der Auskunftsanspruch ergebe sich – so das LG Berlin II – aus § 242 BGB. Dass sich aus § 242 BGB ein Auskunftsanspruch ableite, sei – was das Amtsgericht auch gar nicht in Frage gestellt habe – für den Fall anerkannt, dass eine besondere rechtliche Beziehung zwischen dem Auskunftsfordernden und dem Inanspruchgenommenen bestehe und es das Wesen des Rechtsverhältnisses mit sich bringe, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seiner Rechte im Ungewissen, der Inanspruchgenommene aber in der Lage sei, die verlangte Auskunft unschwer zu erteilen.

Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hielt das LG Berlin II im Gegensatz zum Amtsgericht für gegeben und widersprach der vom Amtsgericht zur Begründung für die Abweisung der Klage ausgeführten Ansicht, die begehrte Auskunft über die Höhe der Miete sei für den Mieter „gänzlich irrelevant“. Der Mieter habe – so das LG Berlin II – ein berechtigtes Interesse, prüfen zu können, ob die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Herausgabe eines etwaigen Mehrerlöses vorlägen und wie hoch dieser Anspruch ggf. sei.

Solch ein Herausgabeanspruch bestehe nämlich dann, wenn der Vermieter nach einer vorgetäuschten Eigenbedarfskündigung durch die Weitervermietung eine höhere Miete erziele. Dem Mieter, dem wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs gekündigt worden sei, stünden nämlich nicht zwingend nur Schadensersatzansprüche zu. Ein darüberhinausgehender Anspruch – nämlich derjenige auf Herausgabe des im Falle der Weitervermietung erzielten Mehrerlöses – ergebe sich – so das Gericht – aus § 285 Abs.1 BGB. § 285 Abs.1 BGB verpflichte den Schuldner, der von seiner Pflicht zur Leistung eines geschuldeten Gegenstands wegen Unmöglichkeit nach § 275 BGB frei geworden sei, zur Herausgabe eines für den Gegenstand empfangenen Ersatzes (bzw. zur Abtretung entsprechender Ersatzansprüche).

Die von § 285 Abs. 1 BGB vorausgesetzte Konstellation liege im konkreten Fall im Verhältnis zwischen dem Mieter und den auf Auskunft verklagten Vermietern vor.

Der Vermieter, der schuldhaft eine Kündigung ausspreche, die wegen fehlenden Kündigungsgrundes unwirksam sei, sei – so das LG Berlin II – dem ausgezogenen Mieter zum Schadensersatz in der Form der Wiedereinräumung des Besitzes verpflichtet. Von dieser Verpflichtung, die im konkreten Fall zunächst auch für die Vermieter bestanden habe, seien die Vermieter durch die Übergabe der Wohnung an die neuen Mieter wegen Unmöglichkeit i. S. d. § 275 Abs.1 BGB befreit worden, da sie seit der Besitzverschaffung an die neuen Mieter nicht mehr in der Lage gewesen seien, dem alten Mieter die weitervermietete Wohnung zu überlassen.

Die von den neuen Mietern erzielte Miete stelle auch das Surrogat i. S. d. § 285 Abs. 1 BGB dar, das die Vermieter an den Mieter an Stelle der nicht mehr möglichen Besitzverschaffung herausgeben müssten. Die Vermieter hätten nämlich mit dem dauerhaft berechtigten Mietbesitz genau den Gegenstand, den der Mieter zu beanspruchen gehabt hätte, den neuen Mietern überlassen. Der Mieter habe die identische Wohnraumnutzung zu beanspruchen gehabt, die nach der Übergabe der Räume an die neuen Mieter diesen zustehe und von ihnen realisiert werde. Genau dafür würden die Vermieter den mit den neuen Mietern vereinbarten Mietzins erhalten.

Damit der Mieter prüfen könne, ob und in welcher Höhe ihm ein Herausgabeanspruch zustehe, könne er von den Vermieter Auskunft über die Höhe der mit den neuen Mietern vereinbarten Miete verlangen.

Fazit und Ausblick

Das LG Berlin II scheint an Stelle des Gesetzgebers vorgetäuschten Eigenbedarfskündigungen den Kampf ansagen zu wollen, in dem es aus § 285 Abs.1 BGB einen Herausgabeanspruch ableitet und jenseits eines dem Mieter zustehenden Schadensersatzanspruches den Weg für eine Art Gewinnabschöpfung beim Vermieter ebnet. Sollte die Auffassung des LG Berlin II ständige Rechtsprechung werden und auch die Absegnung durch den BGH bekommen, würde es sich für Vermieter in der Tat nicht mehr lohnen, ein Mietverhältnis unter Vortäuschung von Eigenbedarf zu kündigen, um die Wohnung anschließend zu einem höheren Mietzins weiter zu vermieten. Da das LG Berlin II sich im konkreten Fall nur mit dem Bestehen eines Anspruches des Mieters auf Erteilung einer Auskunft über die Höhe der neuen Miete zu befassen hatte, lässt es die Details des Herausgabeanspruchs allerdings weitgehend ungeklärt. Nicht deutlich wird z. B., wie dieser Herausgabeanspruch zu berechnen ist, wenn sich die vom alten Mieter zu zahlende Miete im Laufe der Zeit z. B. infolge einer vereinbarten Staffel – oder Indexmiete erhöht hätte mit der Folge, dass sich die Differenz zwischen der früher von dem alten Mieter und der aktuell von dem neuen Mieter vereinnahmten Miete reduziert hätte. Auch lässt das Gericht den Leser mit der offenen Frage zurück, für wie lange der Herausgabeanspruch besteht, insbesondere, ob er endet, wenn das Mietverhältnis mit den neuen Mietern endet.

Bereits gesetzlich durch § 285 Abs.2 BGB ist allerdings geklärt, dass sich der Schadensersatzanspruch, der dem Mieter bei vorgetäuschtem Eigenbedarf in der Regel auch zusteht, um den Wert des Herausgabeanspruchs mindert, wenn der Mieter diesen geltend macht. Es bleibt dennoch viel zu klären, und auch wenn das LG Berlin II in konkreten Fall die Revision nicht zugelassen hat, wird sich früher oder später der BGH mit der Problematik befassen. Bevor dieser kein grünes Licht gegeben hat, sollten Mieter sich noch nicht zu früh freuen. Und auch nach einer Absegnung durch den BGH werden Mieter sich vor das altbekannte Problem gestellt sehen, der Täuschung seitens des Vermieters auf die Schliche zu kommen und diese beweisen zu können.

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