Möchte der Vermieter Modernisierungsmaßnahmen in einer Mietwohnung durchführen, muss der Mieter dies im Rahmen des Zumutbaren in der Regel dulden. Er muss daher den Zutritt zur Wohnung ermöglichen und darf die Bauarbeiten nicht behindern (vgl. § 555d BGB). Da auch auf den Mieter Rücksicht genommen werden muss, halten Vermieter es immer wieder mal für die bessere Lösung, dass der Mieter die Wohnung vorübergehend räumt, damit die Handwerker ungestört und ohne Anwesenheit des Mieters und ohne zeitliche Einschränkungen und Rücksichtnahmepflichten arbeiten können. Während es den einen oder anderen Mieter gibt, dem ein vorübergehender Tapetenwechsel keine Probleme bereitet, ist die Mehrheit der Mieter von einer solchen Idee in der Regel wenig begeistert, so dass es zum Streit mit dem Vermieter kommen kann. Und so bleibt es nicht aus, dass auch Gerichte sich mit der Frage befassen müssen, ob der Mieter dem Verlangen des Vermieters, die Wohnung zu räumen, tatsächlich nachkommen muss.
Der Fall – Vermieter erhob Räumungsklage, um Reihenhaus modernisieren zu können
Auch in dem Fall, über den das LG Berlin II mit Urteil vom 22.10.2024 zu entscheiden hatte, wollte die Vermieterin den Auszug des Mieters gerichtlich durchsetzen. Der Grund für dieses Verlangen bestand darin, dass die Vermieterin an bzw. in dem vermieteten Reihenhaus zahlreiche Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten vornehmen lassen wollte. Nachdem die Vermieterin den inzwischen über 80-jährigen Mieter, der das Reihenhaus seit seiner Geburt bewohnte, bereits Jahre zuvor vergeblich aufgefordert hatte, die Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten zu dulden, erwirkte sie ebenfalls beim LG Berlin II am 21.12. 2021 – 63 S 415/19 – zunächst ein auf Duldung gerichtetes Urteil, mit dem der Mieter zur Duldung mehrerer Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten verurteilt und verpflichtet wurde, den von der Vermieterin beauftragten Handwerkern den Zutritt zur Ausführung der Arbeiten jeweils nach entsprechender rechtzeitiger Ankündigung vom Montag bis Freitag im Zeitraum zwischen 7:00 Uhr und 18:00 Uhr zu gewähren.
In der Zeit zwischen Juli 2023 und September 2023 forderte die Vermieterin den Mieter dann plötzlich auf, für Baufreiheit zu sorgen und das Haus zu räumen, da die Bewohnbarkeit der Immobilie in der Zeit der Bauphase nicht gegeben sei. Der Mieter erwiderte darauf unter anderem, dass er nur zur Duldung und Zutrittsgewährung, nicht aber zum vorübergehenden Auszug verurteilt worden sei und verweigerte die Räumung. Außerdem teilte er im August 2023 unter Vorlage eines Schreibens vom Sozialpsychiatrischen Dienst mit, dass bei ihm ein reaktiv-depressives Syndrom vorliege. Da die Vermieterin weiterhin der Meinung war, der Mieter sei verpflichtet, die Wohnung zu räumen, kündigte sie dem Mieter wegen (vermeintlicher) Verletzung der Pflicht zur Duldung von Modernisierungsarbeiten fristlos, hilfsweise fristgemäß und erhob anschließend Räumungsklage beim AG Berlin – Wedding. Das AG verurteilte den Mieter mit Urteil vom 22. April 2024 – 22c C 335/23 – tatsächlich zur Räumung.
Die Entscheidung
Mit seiner gegen das Räumungsurteil eingelegten Berufung hatte der Mieter Erfolg. Das LG Berlin II änderte das erstinstanzliche Urteil ab und wies die Räumungsklage ab. Zur Begründung führte es aus, das Mietverhältnis sei nicht beendet worden, da sowohl die fristlose als auch die fristgemäße Kündigung unwirksam seien. Es fehle an der hierfür erforderlichen Pflichtverletzung des Mieters, da dieser nicht verpflichtet sei, die Wohnung zu räumen. Soweit § 555d BGB den Mieter zur Duldung von Modernisierungsmaßnahmen verpflichte, beinhalte der Begriff der Duldung schon seinem Wortsinn nach kein aktives Tun, sondern beschränke sich auf ein passives Zulassen. Als „aktive“ Mitwirkungshandlung schulde der Mieter lediglich, dem Vermieter oder den mit der Ausführung der Arbeiten beauftragten Personen – soweit erforderlich – Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren. Eine Verpflichtung des Mieters, die an ihn vermieteten Räume zu verlassen bzw. zu räumen und in eine Ersatzwohnung umzuziehen, komme allenfalls unter sehr engen Voraussetzungen, etwa dann in Betracht, wenn Erhaltungsmaßnahmen bei einem baufälligen Haus nicht anders erledigt werden könnten. Dafür, dass diese Voraussetzungen vorlägen, gäbe es – so das LG II – keine Anhaltspunkte. Auch könne mangels entsprechenden Vortrags der Vermieterin nicht davon ausgegangen werden, dass das vermietete Haus während der Ausführung der Maßnahmen nicht bewohnbar sei. Hiergegen sprächen auch die konkreten baulichen Gegebenheiten. Die an den Mieter vermieteten Räumlichkeiten lägen nicht etwa in einem Mehrfamilienhaus, in dem Baumaßnahmen gegebenenfalls ineinandergreifen müssten. Vielmehr sollten die Maßnahmen in einem Reihenhaus durchgeführt werden, was hinsichtlich der Bauplanung und -ausführung Spielräume eröffne, die bei einem aus mehreren (Wohn-) Einheiten bestehenden Haus so nicht gegeben sein könnten.
Gegen eine Räumungspflicht des Mieters spreche außerdem das aus § 241 Abs.2 BGB abzuleitende Rücksichtnahmegebot, wonach insbesondere die Vermieterin verpflichtet sei, bei der Durchführung der Baumaßnahmen auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Mieters Rücksicht zu nehmen. Von einer Verletzung dieser Rücksichtnahmepflicht durch die Vermieterin könne auf Grund der Vermutungswirkung des § 559d Abs.1 Nr.3 BGB ausgegangen werden. Danach werde nämlich vermutet, dass der Vermieter seine Pflichten aus dem Schuldverhältnis verletzt habe, wenn eine bauliche Veränderung in einer Weise durchgeführt werde, die geeignet sei, zu erheblichen, objektiv nicht notwendigen Belastungen des Mieters zu führen. Die Vermutungswirkung beziehe sich – so das LG Berlin II – nach den Vorstellungen des Gesetzgebers insbesondere auf die Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB.
Das Gericht ging von einer entsprechenden Pflichtverletzung der Vermieterin aus. Es erschließe sich von selbst, dass im Rahmen der Planung und Ausführung baulicher Maßnahmen auf einen Mieter, der das Alter von 80 Jahren deutlich überschritten habe, besonders Rücksicht genommen werden müsse. Ebenfalls habe das psychische Leiden berücksichtigt werden müssen, über das sich die Vermieterin ohne jede belastbare Sacherwägung hinweggesetzt habe. Auch sei nicht erkennbar, warum die Bauplanungen der Vermieterin „alternativlos“ sein sollten.
Schließlich betonte das Gericht, dass die Rücksichtnahmepflicht, insbesondere die Pflicht, die von dem Mieter durch ein fachärztliches Attest belegten gesundheitlichen Belange zu berücksichtigen, nicht deshalb ausgeschlossen sei, weil der Mieter den Härteeinwand des § 555d Abs.2 BGB nicht innerhalb der Frist des § 555d Abs.3 BGB erhoben habe. Die verspätete Geltendmachung der Härtegründe könne allenfalls dazu führen, dass der Mieter mit dem Härteeinwand keinen Erfolg haben könne, der zum Ausschluss der Duldungspflicht des § 555d Abs.1 BGB geführt hätte. Das Rücksichtnahmegebot hingegen betreffe die Pflichten des Vermieters bei der Bauausführung bei bestehender Duldungspflicht.
Da demzufolge die Vermieterin, nicht aber der Mieter pflichtwidrig gehandelt habe, fehle es an einem Kündigungsgrund mit der Folge, dass die Kündigung unwirksam sei und eine Räumungspflicht nicht bestehe.
Fazit
Das LG Berlin II stärkt erneut die Mieterrechte und stellt klar, dass eine Pflicht des Mieters, das Mietobjekt im Rahmen von Modernisierungsmaßnamen zu räumen, nur im absoluten Ausnahmefall, etwa dann in Betracht kommt, wenn Maßnahmen bei einem baufälligen Haus nicht anders erledigt werden können. Es stellt außerdem die Rücksichtnahmepflicht des Vermieters in den Vordergrund und betont, dass auf das Alter und die gesundheitlichen Belange des Mieters besonders Rücksicht genommen werden muss. Vermieter sollten nach dieser Entscheidung im Blick haben, dass nicht der Mieter, sondern sie selbst ggf. pflichtwidrig handeln, wenn sie den Mieter zur Räumung auffordern und ihm mit Kündigung drohen bzw. diese aussprechen, ohne dass der Mieter zum Auszug verpflichtet ist.
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